Expert:innen-Interview: Was tun bei „Schulangst“?

Wenn der tägliche Schulbesuch psychische und psychosomatische Reaktionen (z.B. Kopf- oder Bauchschmerzen) hervorruft, spricht man von Schulangst. Die Gründe dafür können ganz unterschiedlich sein. Schulangst kann aufgrund von Leistungsangst, also der Sorge vor unerfüllbaren Leistungsanforderungen, oder aber aus sozialer Angst, wie etwa Scheuheit vor z.B. Lehrer:innen, entstehen. Deutschen Studien zufolge sind rund 20 Prozent der Schüler:innen davon betroffen.

Kerstin Barwa leitet den Evangelischen Hort Karlsplatz. Seit über 15 Jahren werden hier Vorschulkurse für 5-Jährige angeboten, um die Vorfreude und Neugierde auf die Schule zu steigern. Im Interview erklärt die Expertin, was Schulängste auslöst – und warum Eltern schnell reagieren sollten.

Expert:innen sprechen von Schulangst und verwenden den Begriff im Singular. Gibt es nicht eigentlich mehrere Gründe, warum jemand Angst vor der Schule haben kann?

Die bedeutsamste Angst im Vorschulalter ist meiner Erfahrung nach die sogenannte Trennungsangst, bei der sich Kinder beim Verabschieden schwer oder gar nicht von den Eltern lösen können. Es ist wichtig, dass das Kind diese Angst in einem geschützten Umfeld sanft zu überwinden lernt. Das wird natürlich schon im Kindergarten tagtäglich praktiziert, doch manchmal reicht das als Training nicht aus.

Natürlich gibt es auch andere Ängste in dieser Altersgruppe, etwa soziale Ängste oder Leistungsdruck. Diese Ängste können aber sehr gut durch positive Erfahrungen, die in einer fürsorglich-liebevollen Umgebung im Vorschulalter gesammelt wurden, sublimiert werden. Das Jahr vor dem Schuleintritt ist daher sehr wichtig: In dieser Zeit können vorhandene Ängste erkannt und an ihnen gearbeitet werden.

Wo liegen die Ursachen dieser Ängste?

Expert:innen zufolge liegt der Ursprung der Trennungsangst in der frühen Kindheit und kann durch ein Verlusterlebnis ausgelöst worden sein. Wenn die Angst sehr stark ist, sollte unbedingt professionelle Hilfe eingeholt werden, damit das Kind die Möglichkeit hat, das traumatische Erlebnis in einem geschützten Rahmen aufzuarbeiten. Der Auslöser der Trennungsangst eines Kindes kann aber auch im Leben der Eltern versteckt liegen. So kann sich etwa ein Verlusterlebnis im Leben eines Elternteils als Angst beim Kind äußern.

(c) Pixabay

Stehen Kinder heute unter mehr Druck als früher?

Viele Eltern wünschen sich für ihre Kinder eine gute schulische Laufbahn, vielleicht sogar mit Matura als Schulabschluss. Manchmal wird dabei aber übersehen, dass das vielleicht nicht der geeignete Weg für das Kind ist. So wird unnötig Druck aufgebaut, der sich dann in unterschiedlichsten Ängsten zeigen kann. Im Hort spüren wir sofort, wenn Stress und Leistungsdruck zunehmen, oder wenn sich Konkurrenzverhalten unter den Schüler:innen aufbaut. Wir hören auch öfter von Kindern, die wegen Stresssymptomen wie Kopfschmerzen, Übelkeit, Bauchweh oder Schlafstörungen in ärztliche Behandlung müssen.

Treten diese Symptome plötzlich auf oder zeichnen sie sich schon vorher ab?

Wenn sich ein Kind in Hort und Schule regelmäßig auffällig verhält, könnte das bereits ein Hinweis auf eine Schulangst sein. Sich wiederholende Aggressionen und Unruhe können ebenso Anzeichen dafür sein, dass das Kind innerlich mit Problemen kämpft und es keine andere Möglichkeit findet, sein Unwohlsein auszudrücken. Auch wenn Traurigkeit und Lethargie beim Kind gehäufter auftreten, sollte man als Pädagog:in hellhörig werden und Eltern zu einem vertraulichen Gespräch einladen.

Wie macht sich eine solche Angst bemerkbar?

Leistungsdruck bei Kindern zeigt sich meiner Erfahrung nach häufig in Kopf- oder Bauchschmerzen, Konzentrationsschwierigkeiten und Schlafstörungen. Diese Symptome sind Warnsignale, die von Eltern und Pädagog:innen sehr ernst genommen werden sollten. Wenn diese Stressreaktionen nicht wahrgenommen werden, kann das echte Denkblockaden zur Folge haben. In diesem Fall beherrschen Kinder den Stoff, können ihn aber in Stresssituationen nicht abrufen. Auch das zieht wieder wachsenden Druck nach sich.

Wie kann man als Elternteil am besten reagieren, wenn man eine solche Angst bemerkt?

Ein Kind mit Angstsymptomen sollte von den Eltern hören, dass es das Allerwichtigste ist, dass es dem Kind gut geht und es gesund ist und bleibt. Mit liebevoller Ruhe und Gelassenheit kann ein gestresstes Kind loslassen und wieder zu sich selbst finden. Es hilft in jedem Fall, wenn Eltern Verständnis für die Sorgen des Kindes aufbringen. Zudem ist es von Bedeutung, das Kind zu ermutigen sich auszudrücken und seine Sorgen zu verbalisieren. Strafen und Schimpfen erzeugen hingegen noch mehr Druck und verstärken die Angst.

Es kann auch helfen, wenn Eltern die Kurs- und Freizeitaktivitäten des Kindes überdenken, unter dem Motto „weniger ist mehr“. Somit kann sich das Kind mehr Zeit für sich und die Familie einräumen und Kraft tanken.

Was kann man als Schule machen, um das Kind bestmöglich zu unterstützen?

Im Kindergarten und im Hort haben wir die Möglichkeit, ganz allgemein über das Thema „Angst“ zu sprechen, ohne im Speziellen auf das betroffene Kind einzugehen. Damit wird erfahrbar, dass man nicht alleine mit dem Thema ist. In einer vertrauensvollen Umgebung können sich auch sensible Kinder öffnen und über ihre Gefühle sprechen.

Tritt das Thema Schulangst gehäuft in deiner Klasse/Hortgruppe auf, bietet es sich an, einen Elternabend zum Thema zu veranstalten, um auch die Eltern miteinzubinden. Die Zusammenarbeit und der regelmäßige Austausch zwischen Schule, Hort und Eltern ist aus meiner Sicht die bestmögliche Präventionsmaßnahme um Spannungen, Ängste und Stress bei Kindern gar nicht erst zum Problem werden zu lassen!

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